Am Steinhof (Otto-Wagner-Spital) Wien – ICOMOS Heritage Alert seit 18.12.2015
Geschichte und Beschreibung der Anlage
1907 wurde die damals größte, modernste und architektonisch einflussreichste „Heil- und Pflegeanstalt für Geistes- und Nervenkranke“ Europas auf einem Areal im Westen von Wien eröffnet. Das Kronland Niederösterreich war politisch wie administrativ für die Errichtung dieser riesigen, sich selbst versorgenden Pavillonkrankenhausanlage mit etwa 60 Einzelbauwerken verantwortlich. Daher ist nicht, wie sein heutiger Name suggeriert, der Stararchitekt seiner Zeit und Akademieprofessor Otto Wagner (1841-1918) für die Architektur dieser Anlage verantwortlich, sondern ein Team des niederösterreichischen Landesbauamtes, das anfangs von Carlo von Boog (1854-1905) und nach dessen gesundheitlich bedingtem Ausscheiden ab 1904 von Franz Berger (1853-1938) geleitet wurde. Otto Wagner hatte allerdings 1902 den Wettbewerb für die Anstaltskirche für sich entschieden, die von 1904 bis 1906 nach seinen Planungen ausgeführt wurde. Wagner wollte für seinen Kirchenbau den von Boog sehr rational entwickelten Masterplan nicht akzeptieren, weshalb 1904 dieser durch Heinrich Goldemund nach den Vorschlägen Wagners verändert wurde.
Das Otto-Wagner-Spital Am Steinhof in einem zeitgenössischen Aquarell von Erwin Pendel (Wien Museum)
Die gesamte Anlage unterteilte sich in ein kostenpflichtiges Sanatorium für Privatpatienten im Westen, die öffentliche Anstalt im Zentrum, und das Wirtschaftsareal im Osten. Entlang der zentralen Achse, die den öffentlichen Krankenhausteil in einen Frauen- und Männerbereich scheidet, fädeln sich Haupteingang mit Portiersloge, Direktion- und Administration, Theater, Zentralküche und die Kirche von Wagner hintereinander bergaufwärts. Das Privatsanatorium weist neben diversen, gestalterisch luxuriöser ausgestatteten Pavillons auch ein Kurhaus mit integriertem Schwimmbad auf. Im Wirtschaftsareal gewährleisten Desinfektion, Wäscherei, Heizhaus, Gärtnerei- und Glashaus, Tierstallungen und ein Schlachthaus mit Selcherei eine weitgehende Infrastruktur- und Versorgungsautonomie. In diesem Randbereich befinden sich auch der sehr heikle Pavillon für die „schweren Fälle“ sowie die Prosektur.
Konzipiert wurde diese gesellschafts- und sozialgeschichtlich wie bautechnisch höchst innovative Anlage durch eine intensive Zusammenarbeit der Planer mit Medizinern und Verwaltern. Dieser Ansatz, der nicht erst für diese Anlage entwickelt wurde, sondern zuvor schon an weiteren niederösterreichischen Anstalten in Klosterneuburg, Kierling-Gugging und Mauer-Öhling erprobt worden war, führte zu einer höchst modernen Architektur, die mit ihren hygienisch und raumpsychologisch höchst fortschrittlichen Ergebnissen die Architektursprache der internationalen Moderne vorwegnehmen sollte – in gesundheitsfördernder wie ästhetischer Hinsicht. Ihre Rezension in der zeitgenössischen Literatur, wie der weithin bekannte Artikel von Ludvig Hevesi über die „Die weiße Stadt am Steinhof“ von 1909, bestätigt dies.
Akutes Gefährdungspotential
Um 2010 konnte die Anlage endlich konsequent auf nationaler wie internationaler Ebene beforscht werden. Ein Team rund um die britische Wissenschaftlerin Leslie Topp widmete sich den politischen wie medizinischen Aspekten dieser Krankenhäusergeneration der Habsburger-Monarchie, zu denen neben den oben bereits angeführten „Irrenanstalten“ des Kronlandes Niederösterreich mehr als 60 Heil- und Pflegeanstalten für Geistes- und Nervenkranke alleine im österreichischen Teil der Doppelmonarchie gehörten. Am Areal des Steinhof, der nach dem Weltkrieg I verwaltungstechnisch auf die Stadt Wien überging, tauchten ebenfalls um 2010 mehrere tausend Originalpläne nebst Baustellenfotos und den Bautagebüchern auf. So konnte ein weiteres Forscherteam um die beiden TU-Wien Professorinnen Caroline Jäger-Klein und Sabine Plakolm-Forsthuber seine Baugeschichte, aber auch die Zusammenhänge zwischen diesen Krankenhausanlagen der Monarchie, sehr genau rekonstruieren. Das Ergebnis liegt in Form einer 2015 publizierten Monografie mit dem Titel „Die Stadt außerhalb. Zur Architektur der ehemaligen Niederösterreichischen Landes-Heil- und Pflegeanstalten für Geistes- und Nervenkranke Am Steinhof in Wien vor.
1994 stellte das Bundesdenkmalamt (BDA) die meisten Objekte dieser Anlage unter nationalen Denkmalschutz, aber eben nicht alle. Zudem blieben die Freiräume zwischen den baulichen Objekten, sowie die Umfassungsmauer und fast alle Objekte des Wirtschaftsareals ohne Denkmalschutz. Auch die Weiter- und Nachnutzung der Objekte als Krankenhaus wurde sukzessive unsicherer, obwohl acht Pavillons um das Jahr 2000 durchaus denkmalgerecht und architektonisch höchst anspruchsvoll saniert und zukunftsfit für verschiedenen Formen von gesundheitlicher Rehabilitation gemacht worden waren. Die Restaurierung der Otto-Wagner-Kirche bestritt die Republik Österreich alleine über den Denkmalpflege-Fonds des BDA. Die Stadt Wien allerdings, die das Areal über ihren Kranken-Anstalten-Verbund verwaltet, ist bis heute nicht bereit, die Bestandsobjekte ausreichend zu pflegen (manche Objekte, wie das bekannte Jugendstiltheater mussten aus Sicherheitsgründen sogar gesperrt werden), sondern „träumte“ von einer höchst lukrativen Verwertung der Immobilie. Dies rief mehrere Bürger-Initiativen auf den Plan, die vor allem den Erhalt der Freiräume als Naherholungsgebiet einforderten. Als dann schließlich verschiedenste Bauaktivitäten einsetzten, die zwischen die denkmalgeschützten Bestands-Objekte architektonisch nicht besonders anspruchsvolle Neubauten einpflanzte, war auch die Architektenschaft entsetzt und mobilisierte.
Internationaler ICOMOS Heritage Alert
Daher entschloss sich ICOMOS Austria im Dezember 2015 über einen internationalen ICOMOS Heritage Alert die politischen Entscheidungsträger der Stadt Wien auf den prekären Missstand aufmerksam zu machen – mit bis heute mäßigem Erfolg, weshalb der Heritage Alert nach wie vor aufrecht ist. Immer noch wird seitens der Stadtverantwortlichen das Gespräch mit ICOMOS nicht gesucht, obwohl mehrfache Initiativen dazu seitens des Nationalkomitees gestartet wurden. ICOMOS Austria hat selbstverständlich längst eine Monitoring Gruppe eingesetzt, um die Entwicklungen zu beobachten und zu Verbesserungen anzuregen.
Hier kann der Heritage Alert Letter von ICOMOS vom 18.12.2015 nachgelesen werden.
Denkmalschutz und Flächenwidmung
Verbesserungen sind von Zeit zu Zeit dennoch festzustellen. So wurde nach acht Jahren Planungszeit im Februar 2020 die Flächenwidmung dahin verändert, dass das Areal nun unveräußerlich und unteilbar bleibt und bauliche Erweiterungen der einzelnen Objekte nur im notwendigen Ausmaße zulässig sind. Das Bundesdenkmalamt hat auf die permanente Kritik seitens ICOMOS Austria mittlerweile reagiert, und das gesamte Areal einschließlich Umfriedung, Freiräume und bisher noch nicht vom Denkmalschutz umfasste Objekte 2021 per Verordnung gesamtheitlich unter Schutz gestellt.
Nachnutzung und UNESCO Welterbe-Potential
Seit 2021 existiert ein Vertrag mit der Central European University (CEU), der eine sinnvolle Nachnutzung eines Teiles des Areales sicherstellt. Die Details dieses Vertrages und daraus eventuell entstehende Veränderungen des Denkmales sind jedoch weder mit ICOMOS-VertreterInnen noch mit VertreterInnen der UNESCO abgesprochen worden, obwohl im Juli 2018 schon die Österreichische UNESCO Kommission (ÖUK) schriftlich klarstellte, dass aus Sicht der UNESCO das Areal Welterbe-Potential aufweist. Die Republik Österreich hat sich längst hinter diese Position der ÖUK gestellt.
Auch ICOMOS Austria hat sich dieser Ansicht in voller Überzeugung angeschlossen, allerdings deutlich darauf hingewiesen, dass das Areal Am Steinhof aus seiner Sicht nicht allein zum Welterbe nominiert werden sollte, sondern unbedingt als transnationale-serielle Nominierung andere Anstalten der vormaligen Habsburger-Monarchie umfassen müsste. Die interessantesten und authentisch und integer erhaltendsten Anlagen innerhalb Österreichs liegen mit Kierling-Gugging und Mauer-Öhling in Niederösterreich. Außerhalb Österreichs gibt es mit den Anstalten in Dobřzan bei Pilsen, Bohnitz bei Prag und Kremsier drei weitere Anlagen im heutigen Tschechien sowie Kulparkow bei Lemberg in der westlichen Ukraine und Kobierzin bei Krakau in Polen und die Anlagen in Triest im heutigen Italien, und im slowenischen Teil von Görz.
Bereits 2020 hat die UNESCO angekündigt, die Vorevaluierung (den Upstream Prozess) zu beginnen. Die COVID-19 Pandemie hat jedoch die Erkundungs- und Beratungsmission dazu vorerst einmal auf den Spätherbst 2021 versetzt.
Ausgewählte Literatur
Caroline Jäger-Klein / Sabine Plakolm-Forsthuber (Hg.): Die Stadt außerhalb. Zur Architektur der ehemaligen Niederösterreichischen Landes-Heil- und Pflegeanstalten für Geistes- und Nervenkranke Am Steinhof in Wien, Wien/Basel (Birkhäuser) 2015 (ISBN 978-3-0356-0630-0)
Heinrich Schlöss: Die Irrenpflege in Österreich in Wort und Bild, Halle an der Saale, 1912
Leslie Topp: Otto Wagner and the Steinhof Psychiatric Hospital: Architecture as Misunderstanding, S. 130-156, in: The Art Bulletin 87(1), April 2014
Leslie Topp: Freedom and Cage: Modern Architecture and Psychiatry in Central Europe, 1890-1914, Penn State University Press, 2017n